Wenn bei HAIX ein neues Schuhprojekt auf die Entwicklungsagenda kommt, dann beginnt für das Entwicklungs- und Designerteam der Praxis-Check. Das heißt: Basics eruieren, Workshop unter Realbedingungen, Einsatz vor Ort mit Profis aus dem Umfeld, für das der Schuh gemacht wird. „Unser Anspruch bei HAIX ist es, erfolgreiche Produkte zu entwickeln, die professionellen Ansprüchen auf hohem Niveau entsprechen“, formuliert es Thomas Singer, Leiter der Schuhentwicklung, „und dazu wollen wir ganz genau wissen, was der Schuh am Ende des Tages können muss“.

Natürlich hat es auch ein Schuhentwickler am liebsten, wenn die Sonne scheint. Anforderungsprofile für die Entwicklung neuer Funktionsschuhe aber werden unter Realbedingungen erstellt. Das ist Voraussetzung für den hohen Qualitätsanspruch.

Der Einstieg in den Workshop ist nass

Wann und wie könnten sich also die Skills etwa eines künftigen Baumkletterschuhs „made in Europe“ besser eruieren lassen als an Tagen, an denen es aus Eimern vom Himmel schüttet.

„Schnürlregen“, nennt man in Bayern anhaltenden Landregen. Er lastet an diesem Mittwoch im November auf dem ehemaligen Mühlengelände am Bach wie ein schwerer, grauer Filzmantel. Nur die Forellen springen im Teich. Die Treppe aus massiven Holzplanken ist glitschig, die Rinde der mächtigen Erle am Bachufer feucht und das herabhängende Seil für die Klettertechnik-Übung langt sich an wie ein nasskalter Strick aus Hanf.

Fragen an den Spezialisten

In der ersten Trainingseinheit geht es um das Baumpflegen im Unterschied zum Baumfällen. Die Fragen der Entwickler und Designer an die berufsmäßigen Baumkletterer reihen sich wie Ast an Ast am Stamm: Was sind die Grundvoraussetzungen für einen Schuh, wenn ihr in den Baum einsteigt? Wie hoch muss seine Flexibilität sein? Was ist wichtig bei der Konstruktion? Worauf legt ihr besonderen Wert? Gibt es Elemente, die man eventuell in einen solchen Spezialstiefel integrieren kann?

Timo Hildinger, der als Profi in der Baumpflege den Workshop leitet, antwortet punktgenau, worauf er und sein Team wert legen. „Das sind Eindrücke und Erfahrungen, die bei der Entwicklung eines neuen Produktes wie dieses Einsatzstiefels für die Baumpflege und das Klettern mit Seiltechnik, für uns enorm wichtig sind“, sagt Singer. Zwar kennen einige Leute aus dem HAIX Entwicklungsteam und auch er selbst den Umgang mit der Motorsäge. Sie wissen, wie wichtig etwa Schnittschutz und der HAIX-übliche Komfort sind. Aber es dürfte schwer sein, einen Schuhmodelleur mit professioneller Erfahrung als Baumkletterer mit Seiltechnik zu finden. Das Anbringen von Fußsteigklemmen ist keine Kunst, dennoch verlangt es „ein gewisses Basis-Knowhow“. Und – wie man schnell sieht – vor allem auch bestimmte Voraussetzungen am Stiefel.

Schnittschutz vs. Kletterprofi

Von der Berufsgenossenschaft ist für diese Tätigkeit nur allgemein „Schnittschutz“ vorgeschrieben. Davon gibt es aber unterschiedliche Abstufungen, die sich nach der Laufgeschwindigkeit der Sägekette berechnen, die ein Stiefel mit zertifiziertem Schnittschutz im Ernstfall stoppen muss. 20, 24, 28 und 32 m/s beziffert sich dies von Schnittschutzklasse I bis IV. Aber: „Keiner wird mit Schnittschutzklasse 3 oder höher in den Baum steigen“, sagt der Baumkletterer und liefert die Logik dahinter im gleichen Atemzug: „Je mehr Schnittschutz im Stiefel, desto schwerer wird er – logisch.“ Und wenn etwas besonders wichtig ist im Baum – auch dies zementieren die Baumkletterprofis an diesem Tag unwiderruflich ins Lastenheft der Entwickler, „dann ist es Leichtigkeit“.

So geht es weiter, den ganzen verregneten Tag lang. Vom Baumklettern zum Baumfällen und wieder zurück. Probleme werden am Baum angesprochen, Lösungsmöglichkeiten später im Seminarraum zu Ende diskutiert. Egal ob Bedeutung von Signalfarben, Verstärkung an hoch beanspruchten Stellen, Innovationsmöglichkeiten oder einfach nur das Sohlenprofil.

Lernen, worauf es ankommt

Am Ende des Tages haben alle viel voneinander gelernt: Die Schuhentwickler von den Baumkletterern, worauf es ankommt. Die Baumkletterer von den Schuhentwicklern, warum manches einfacher und anderes möglicherweise nur sehr aufwändig umzusetzen ist. Und alle zusammen haben einmal mehr am eigenen Fuß erfahren, welche Bedeutung einer hochwertigen, wasserdichten und atmungsaktiven Membran zukommt – an einem Mittwoch wie diesem im November.